„Die Pilgerin“ im ZDF
Das ZDF pflegt eine lange Fernseh-Tradition. Zum Jahresanfang steht immer ein aufwendig produzierter Event-Mehrteiler im Programm. Früher waren das u. a. „Das Adlon“, „Die Rebellin“, „Krieg und Friede“ oder „Napoleon“. In diesem Jahr wird es die Verfilmung eines Mittelalterromans sein: „Die Pilgerin“ unter der Regie von Philipp Kadelbach. Die Trailer sind im ZDF schon zu sehen. Zu sehen ist der Zweiteiler dann am Sonntag, 5. Januar, und Montag, 6. Januar, jeweils um 20.15 Uhr.
Grundlage der Verfilmung ist der gleichnamige Roman von Iny Lorentz, die bereits durch die Wanderhuren-Reihe mit historischen Romanen erfolgreich war, die ebenfalls verfilmt wurden (Die Wanderhure [BRD, AUT 2010]; Die Rache der Wanderhure [BRD, AUT, Tschechien 2012]). Hinter dem Pseudonym Iny Lorentz verbirgt sich das Autorenehepaar Iny Klocke und Elmar Wohlrath.
[Foto von Wolfgang H. Wögerer, Vienna, Austria]
In den vergangenen zehn Jahren haben sie sich auf das Genre des historischen Romans spezialisiert und eine nicht gerade geringe Zahl an Werken vorgelegt. Dazu noch eine Vielzahl weiterer Romane unter anderen Pseudonymen. Nach Wikipedia erschienen in diesem Zeitraum knapp 40 Titel. Man kann Iny Lorentz zweifelsohne als Vielschreiber bezeichnen.
„Ein Tor, wer sich von den Lorentz-Schmökern ein realistisches Bild des Mittelalters erwartet.“ rezensierte Jochen Hieber in der FAZ die Verfilmung der Wanderhure. Das kann man zweifelsohne auch über das Buch „Die Pilgerin“ sagen, das 2007 im Droemer Knaur-Verlag, München erschienen ist.
Ich habe es mir, nachdem ich auf die Verfilmung aufmerksam wurde, zugelegt und gelesen. Auch in „Die Pilgerin“ malt Lorentz ein sehr klischeehaftes Mittelalterbild, vor dem eine ausgeprochen modern anmutende Frauenfigur als Hauptperson agiert.
Tilla Willinger, eine junge Kaufmannstochter aus der fiktiven schwäbischen Stadt Tremmlingen, begibt sich nach dem Tod ihres Vaters auf eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela. Eigentlich hatte ihr Vater eine Wallfahrt gelobt, stirbt aber zuvor durch die Hand seines Sohnes, als dieser sein Erbe in Gefahr sieht. Sein Sohn, ein übler Intrigant, drückt sich vor der ihm testamentarisch auferlegten Verpflichtung, an seines Vaters statt die Pilgerfahrt auf sich zu nehmen. Stattdessen und um den Machenschaften ihres Bruders zu entkommen, begibt sich Tilla auf den Weg und nimmt das Herz ihres Vaters mit, um es am Wallfahrtsort beisetzen zu lassen. Das erste Drittel des Romans beschreibt den Tod des Vaters, die Ränke des städtischen Patriziats, die Zwangsverheiratung Tillas durch ihren Bruder und ihre Flucht nach dem Tod ihres Ehemannes in der Hochzeitsnacht mit dem zu diesem Zweck dem Leichnam entnommenen Herzen des Vaters. Ohne es zu ahnen hat sie dabei auch geheime Unterlagen ihres Bruders entwendet, die ihn des Verrats am Bürgermeister und der Stadt Tremmlingen überführen würden. Aus diesem Grund lässt ihr Bruder sie verfolgen.
Der Hauptteil des Buches beschreibt den Pilgerweg zu dem berühmten spanischen Wallfahrtsort und die Abenteuer, die Tilla dabei erlebt. Um unerkannt zu bleiben, verkleidet sich als Mann und kann so zumindest einen Teil der Pilgergruppe, der sie sich anschließt täuschen.
Die Verfilmung greift die Romanhandlung auf, nimmt aber deutliche Veränderungen vor. Einige Beispiele:
- Die Ermordung von Tillas Vater im Buch ist ein Gemeinschaftswerk ihres Bruders Otfried mit dem Kaufmann Veit Gürtler, im Film ist Otfried dagegen der alleinige Täter.
- Beide planen gemeinsam ein Komplott gegen den Tremmlinger Bürgermeister. Um ihre Handelshäuser wirtschaftlich und politisch enger aneinander zu binden, heiratet Gürtler Otfrieds Schwester Tilla, Otfried seinerseits Gürtlers Nichte Radegund. Hierin stimmen Buch und Film überein. Während Gürtler aber im Buch in der Hochzeitsnacht nach vollzogener Ehe an einem Herzinfarkt stirbt, bleibt Tilla im Film „rein“, da ihr Bräutigam bereits das Zeitliche segnet, bevor er zur Tat schreiten kann.
- Iny Lorentz lässt das Herz des verstorbenen Vaters von einem Arzt herausnehmen und für die Pilgerfahrt präparieren. Im Film macht das Tilla selbst!
- Während in der Romanvorlage Tilla sich den Männernamen Otto (von Ottilie) gibt, als sie sich der Pilgergruppe anschließt, heißt sie im Film „Moritz“. Und die in der Vorlage gemischte Pilgergruppe besteht im Film nur aus Männern.
Um nicht zuviel vorweg zu nehmen, soll es mit dieser Aufzählung genug sein.
Was ist von der Verfilmung zu halten?
Der Anspruch, den das ZDF in seinen Presseankündigungen sich selbst gesetzt hat, ist hoch. So heißt es „Regisseur Philipp Kadelbach […] bietet jetzt in ‚Die Pilgerin‘ ein wildes, ungeschminktes Bild des Mittelalters.“ Heike Hempel, Hauptredaktionsleiterin Fernsehfilm/Serie II im ZDF: „Mit dem Event-Zweiteiler ‚Die Pilgerin‘ möchten wir das Mittelalter zeitgemäß erzählen.“ Und Alexander Bickel und Alexander S. Tung von der Hauptredaktion Fernsehfilm/Serie II schreiben: „In diesem Sinne ist ‚Die Pilgerin‘ ein Stoff über weibliches Selbstverständnis und das seinerzeit reichlich asymmetrische Verhältnis der Geschlechter, aber auch über mittelalterliche Spiritualität und Gottvertrauen und über Tillas nicht gerade zeittypischen Eigensinn. Fast möchte man sie, die den unbekannten Gefahren der Pilgerschaft entgegentritt und an ihren Herausforderungen wächst, eine Vorbotin der Neuzeit nennen. Mit Herz und Seele verpflichtet sich der Zweiteiler aber vor allem einer Sache: der Lust am Abenteuer und dem Vorsatz, über 2 x 90 Minuten beste Unterhaltung für die ganze Familie zu liefern. Oder genauer: die fremde Epoche glaubwürdig und authentisch, aber auch heutig und mit Sinn für Unterhaltsamkeit zu erzählen.“
Ist die Verfilmung dieser Vorgabe gerecht geworden? Was die Unterhaltung und das Abenteuer angeht, sicherlich. Josefine Preuß, die Hauptdarstellerin der Tilla/Moritz sagt das in einem Interview auch ganz deutlich: „Wir haben hier einen richtigen Abenteuerfilm gemacht.“ Wer diesen Zweiteiler sieht, wird garantiert spannende Stunden verleben. Wer aber „Mittelalter“ erzählt bekommen möchte, wird nicht wirklich glücklich werden. Zu klischeehaft ist der dargebotene Stoff. Der Charakter der Personen lässt sich meist schon an ihrem Äußeren erkennen: „Die Gebisse der Guten leuchten wie bei Doktor Best, Unsympathen werden mit fauligem Rachen nicht unter acht Lücken bestraft und verdienen sich wie Dietmar Bär auch schon mal knusprigen Ausschlag im Gesicht.“ (Frank Preuß, „Die Pilgerin“ erkennt Schurken am Gebiss)
Bereits die Romanvorlage bedient sich aller möglichen Versatzstücke, um eine Scheinwelt zu erzeugen, die wie Mittelalter aussieht, ohne Mittelalter zu sein. Die Idee, das Gelübde des verstorbenen Vaters in einer Art Herzreliquie doch noch Erfüllung finden zu lassen, klingt so schön fremd, dass man sie gerne dem Mittelalter zuschreiben möchte. Und in der Tat ist die Herzbestattung im Mittelalter durchaus bekannt. Aber belegt ist sie für Königs- und Adelsfamilien (Wittelsbacher, Habsburger, teilweise bis in die Gegenwart), nicht für bürgerliche Kaufmannskreise. Die Kirche hat solches Ansinnen im Mittelalter verurteilt. Eine Pilgerfahrt mit einem solchen Herzen ist daher ebenfalls kaum denkbar, geschweige denn belegt. Wer sich für das Thema interessiert, dem sei von Armin Dietz, Ewige Herzen. Kleine Kulturgeschichte der Herzbestattungen (München 1998) zur Lektüre empfohlen.
Auch in Details hält sich der Film nicht unbedingt an die mittelalterlichen Realitäten. Während Iny Lorentz im Roman noch darauf hinweist, dass Kerzen teuer und daher selten sind, wird in der Verfilmung unglaublich verschwenderisch mit ihnen umgegangen. Kein Raum, und sei es die einfachste Spelunke, die nicht mit unzähligen Kerzen bestückt und ausgeleuchtet wäre.
oder
[Quelle: ZDF und David Slama]
Die mittelalterliche Frömmigkeit ist im Film kaum nachzuvollziehen. Im ersten Teil ist keine Kirche, weder von außen, geschweige denn von innen, zu sehen. Vater Thomas feiert mit seiner Pilgergruppe keine Messe, nicht einmal zu Beginn der Pilgerreise. Keine Totenmesse für den verstorbenen Vater, bei der Hochzeit Tillas mit Veit Gürtler ist ein Priester nur schemenhaft im Hintergrund erkennbar (siehe das obige Foto). Tilla selbst betet auf der Reise ein paar Verse aus Ps. 23 und ein Ave Maria. Lediglich der Pilger Sepp ist mit seiner verschrobenen Frömmigkeit präsent, dabei aber eine sehr negative Figur.
Jochen Hieber fuhr in der oben erwähnten Rezension der Wanderhuren-Verfilmung fort: „Auf seine Weise durchaus stringent, folgt der Film dem Roman darin, in alten Kulissen aktuelle Mentalitäten auftreten zu lassen, um das Ganze dann einem irrealen Universalismus menschlichen Fühlens anheimzugeben.“ Dies scheint mir auch für „Die Pilgerin“ zu gelten, wobei nicht übersehen werden darf, dass viel der Vorlage geschuldet ist.
Am deutlichsten wird diese Problematik in einer Filmszene, als es um den Sinn der Pilgerreise nach Santiago geht: „Um ein anderer zu werden?“ sagt und fragt der Pilger Ambros gleichermaßen. Auf diese Idee wäre ein mittelalterlicher Pilger niemals gekommen.
Am besten, man macht sich selbst ein Bild. Ein guter Abenteuerfilm ist es auf jeden Fall.
„Die Pilgerin“ BRD/AUT 2014, Regie: Philipp Kadelbach, Darsteller u. a. Josefine Preuß, Jacob Matschenz, Volker Bruch, Friedrich von Thun, Dietmar Bär. ZDF, Sonntag, 5. Januar und Montag, 6. Januar, jeweils 20.15 Uhr. Dazu gibt es die Doku „Der Weg der Pilgerin – Unterwegs nach Santiago de Compostela“, ZDF, Sonntag, 5. Januar, 21.45 Uhr.
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