Zeigen, wie es gewesen ist?

Ich möchte noch einmal auf Markus Zwittmeiers Gedanken über Geschichtsdokus im Fernsehen zurück kommen. Vielen seiner Kritikpunkte stimme ich zu. Die Qualität solcher Sendungen ist sehr unterschiedlich. Der Kostendruck bei der Produktion zweifelsohne sehr groß, was zwangsläufig zu Kompromissen wenn nicht gar Abschlägen bei der Qualität von Recherche, Ausstattung/Requisite und Schauspieler führen muss. Der Druck, eine gewisse Einschaltquote zu erreichen, führt sicher auch dazu, die Themenauswahl der Dokus auf einen (vermeintlichen) Publikumsgeschmack zuzuschneiden. Besonders interessant für die Produzenten scheint es zu sein, wenn man spektakuläre Thesen reißerisch aufarbeiten kann. Die Suche nach Atlantis oder dem Heiligen Gral (z. B. „Terra X: Die Jagd nach der Bundeslade“ oder „Terra X: Atlantis der Nordsee“) sind da immer wieder gern verwendete Themen.
Ziel der nachgestellten Szenen ist es ja, die relativ dröge Informationsflut des Sprechers bzw. der Fachleute mit spielfilmartigen Elementen anzureichern, und so das Interesse des Zuschauers zu wecken und zu halten. Ich denke, dass dies nicht nur legitim, sondern teilweise einfach notwendig und dem Medium Film geschuldet ist, denn die wenigsten Zuschauer werden mit einer Art „Vorlesung“ eine halbe oder gar dreiviertel Stunde bei der Stange zu halten sein. Das mag nun gefallen oder nicht, ich wüsste aber nicht, wie man Geschichte anders im Fernsehprogramm platzieren will.

Die Gefahr, die von solchen Spielszenen ausgeht, ist aber die Suggestion: „So war es!“ Die Distanz, die ein Sprecher und selbst ein interviewter Wissenschaftler vermittelt, geht bei nachgestellten Szenen verloren. Schließlich meint der Zuschauer zu sehen, wie die Dinge wirklich gewesen sind. Und wenn dann das nötige Fachwissen fehlt, um Details der Kleidung, der Werkzeuge oder der Architektur einordnen zu können, gibt es keinerlei Korrektiv, dass dieser Suggestion gegensteuert. Die Folge davon sind dann Szenen, wie Markus Zwittmeier sie im Museum erlebt und geschildert hat.

Es stellt sich die Frage, wie man dies verhindern kann? Gänzlich auf Spielszenen in Geschichtsdokus zu verzichten, scheint mir aus den genannten Gründen keine Lösung. Mit einem gewissen Aufwand an Beratung der Produktionsgesellschaften könnte man die Qualität der Spielszenen vielleicht verbessern, was aber meistens an den Kosten bei der Umsetzung scheitern dürfte. Selbst wenn man weiß, dass eine Rüstung nicht exakt in das dargestellte Jahrhundert passt, wird man aus Kostengründen immer noch versucht sein, den „kleinen Fehler“ in Kauf zu nehmen, statt einige teure Einzelstücke neu anfertigen zu lassen. Und selbst wenn man dazu bereit wäre, gäbe es keine Sicherheit, dass selbst bei guter fachlicher Beratung nicht dennoch Fehler sich einschleichen könnten, die andere Fachleute entdecken und beklagen würden.

Mir stellt sich aber noch eine grundsätzlichere methodische Fragen: Ist es wirklich das Ziel von TV-Dokus, eine Art „objektive historische Wahrheit“ zu konstruieren, von der wir wissen, dass es sie nicht geben kann? Selbst wenn alle äußerlichen Details exakt wären oder zumindest dem aktuellen (und unbestrittenen) Forschungsstand entsprächen, wäre damit doch nicht garantiert, dass die transportierte Aussage korrekt wäre. Die dargestellte Szene wäre immer noch die filmische Darstellung einer historischen Quelleninterpretation. Wäre es nicht wichtiger, dies dem Zuschauer zu vermitteln (z. B. durch bewusste Reduktion oder Verfremdung), als einen immer höheren Grad scheinbarer Objektivität anzustreben?

Tanja Seider hat in einem Artikel „Zeigen, wie es gewesen ist?“ dieses Thema besonders im Blick auf den Dokumentarfilm angesprochen (mit einigen Literaturhinweisen zum Thema), aber ich denke, es gilt auch für die Spielszenen der TV-Doku:

„Dokumentarfilme stellen keinen ‚authentischen‘ Zugang zu Geschichte dar, sie inszenieren reale Begebenheiten auf kreative Weise. Gemeinsam ist allen Subgenres des Dokumentarfilms, dass es bestimmte Elemente gibt, die regeln, wie die ‚Stimme der Geschichte‘ zu den Zuschauern spricht. Diese Inszenierungen offenzulegen und zu analysieren muss ebenso Bestandteil der pädagogischen Auseinandersetzung mit Dokumentarfilmen sein, wie die Beschäftigung mit dem präsentierten Inhalt.“

Es wäre viel gewonnen, wenn die Dokus sich selbst den Zuschauern als Inszenierungen zu erkennen geben würden.

Alle, die sich in die Thematik vertiefen möchten, seien auf folgenden Titel hingewiesen:

  • Lersch, Edgar; Viehoff, Reinhold, Geschichte im Fernsehen. Eine Untersuchung zur Entwicklung des Genres und der Gattungsästhetik geschichtlicher Darstellungen im Fernsehen 1995 bis 2003. Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen. 54, Berlin 2007.
    (und hier eine Rezension von Michael Meyen, Institut für Kommunikationswissenschaft, Ludwig-Maximilians-Universität München dazu).

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