Zeitschrift Rhein-Maas: „Forum“

Ich habe die neue Zeitschrift „Rhein-Maas“ bereits in zwei Beiträgen vorgestellt („Rhein-Maas. Studien zur Geschichte, Sprache und Kultur“ und Zeitschrift Rhein-Maas: „Aus dem Museum“).
Heute möchte ich aus der Rubrik „Forum“ exemplarisch zwei Beiträge besprechen, die sich beide mit der jüdischen Geschichte am Niederrhein befassen und den Charakter dieser Rubrik m. E. ganz gut repräsentieren.

Schmenk, Holger, Judenfeindschaft am Niederrhein im 19. Jahrhundert. Vorschläge für eine Unterrichtssequenz am regionalen Beispiel. In: Rein-Maas. Studien zur Geschichte, Sprache und Kultur 1, 2010, S. 245–253.

Der Verfasser entwickelt hierin ein konkretes Unterrichtsprojekt, um das Thema „Judenfeindschaft“, das Bestandteil des Geschichtsunterrichts in der 9. Klasse der Gymnasien Nordrhein-Westfalens ist, an einem regionalen Beispiel zu erarbeiten. Ziel ist dabei nicht zuletzt, die lange Geschichte der Judenfeindschaft nicht nur in Deutschland, die weit vor 1933 beginnt, zu verdeutlichen. Als Beispiel wird die sog. Buschoff-Affäre gewählt, ein Ritualmordvorwurf in Xanten aus dem Jahr 1891/92, dessen relativ hoher Bekanntheitsgrad auf das Kinderbuch „Es geschah im Nachbarhaus“ von Willi Fährmann zurückgeht.

Nach einer kurzen Darstellung der jüdischen Emanzipation im 19. Jahrhundert präsentiert Schmenk „Vorschläge zum Einstieg in die Unterrichtssequenz“. Am Beispiel einer antisemitischen Postkarte von 1905 vermittelt er den Schülern die lange vor 1933 offen verbreiteten Vorurteile gegen Juden.

Unter der Leitfrage „Inwiefern konnten die Nationalsozialisten bei ihrer antijüdischen Propaganda auf bekannte Vorurteile zurückgreifen?“ wendet er sich dann dem „Beispiel Xanten“ zu. Er schildert kurz den Fall. Im Juni 1891 wurde in Xanten die Leiche eines fünfjährigen Jungen, dem die Kehle durchgeschnitten worden war, in einer Scheune gefunden. Da bei der Leichenschau festgestellt wurde, dass große Mengen Blut am Tatort fehlten, fiel der Verdacht umgehend auf den in unmittelbarer Nähe zum Tatort wohnenden Schächer der jüdischen Gemeinde Adolf Buschoff. Er solle den Jungen für rituelle Zwecke „geschlachtet“ haben. Da die örtliche Polizei in ihren Ermittlungen nicht weiterkam, wurde der Berliner Kommissar Wolff hinzugezogen, der Buschoff zunächst verhaftete, ihn aber mangels Beweise wieder freilassen musste. Dies führte zu heftigen Protesten in der Bevölkerung. Im Juli 1892 wurde Buschoff in der Hauptverhandlung in Kleve freigesprochen. Er zog mit seiner Familie anschließend nach Köln. Der Mörder des Kindes wurde nie gefunden. In antisemitischen Kreisen ging man auch später noch von der Schuld Buschoffs aus.

Den Schülern soll anhand zeitgenössischer Zeitungsartikel die Möglichkeit gegeben werden, diesen Vorgang nachzuvollziehen. Ebenso sind die auf diese Tat folgenden antijüdischen Pogrome in ganz Deutschland dokumentiert. Neben den Zeitungsartikeln lassen sich für den Unterricht auch andere Quellen wie Reden im Preußischen Abgeordnetenhaus oder Postkarten heranziehen.

Holger Schmenk, der diesen Fall auch in seiner Dissertation behandelt hat (Schmenk, Holger, Xanten im 19. Jahrhundert. Eine rheinische Stadt zwischen Tradition und Moderne. Köln, Weimar, Wien 2008), betont abschließend die Bedeutung dieses Falles für den Geschichtsunterricht. An ihm werde u. a. deutlich, dass konservative und antisemitische Parteien versuchten, die jüdische Emanzipation des 19. Jahrhunderts um die Jahrhundertwende wieder zurückzudrehen und den Einfluss jüdischer Bürger im politischen und gesellschaftlichen Leben zurückzudrängen. Der Fall eigne sich für den Unterricht auch deshalb besonders, weil er fachübergreifend behandelt werden könne. Das genannte Buch Willi Fährmanns könnte im Deutschunterrlicht als Lektüre gelesen werden. Auch der Religionsunterricht könnte einbezogen werden. Die Frage nach der Rezeption des Falles Buschoff im Nationalsozialismus würde dann wieder in die Behandlung des Nationalsozialismus im Geschichtsunterricht zurückführen. Zur Ergebnissicherung der Unterrichtssequenz schlägt Schmenk die Erstellung einer Schülerzeitung vor, in der die Schüler in Gruppenarbeit Artikel zu unterschiedlichen Aspekten der Judenfeindschaft verfassen sollen.

Der zweite Beitrag aus dem „Forum“ befasst sich mit jüdischen Friedhöfen bzw. jüdischen Grabsteinen.

Hüttenmeister, Nathanja, Bildlich-textliche Inventarisierung, Dokumentation und komparative Erforschung jüdischer Begräbnisstätten im niederländischen und deutschen Bezugsraum. In: Rein-Maas. Studien zur Geschichte, Sprache und Kultur 1, 2010, S. 265–272.

Der Aufsatz ist eine gekürzte Fassung der Abschlussdokumentation des Projektes, die 2008 im Begleitband zum Symposium „Euregio – Gemeinsame Geschichte – Gemeinsame Gegenwart“ im Museum Schloss Rheydt erschienen ist.

Aufgabe des Projektes war die Erfassung und Dokumentation sämtlicher bisher nicht anderweitig veröffentlichter jüdischer Friedhöfe in der Euregio Rhein-Maas-Nord, um so diese Zeugnisse jüdischer Kultur zur Bewahrung des Gedächtnisses an die meist nicht mehr existierenden jüdischen Gemeinden zu erhalten und der Lokalgeschichtsforschung wie der allgemeinen kultur- und geisteswissenschaftlichen Forschung zur Verfügung zu stellen. Dankenswerterweise ist die Dokumentation im Internet unter der Adresse http://steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?function=Inf&sel=EU erreichbar.

Das Projekt umfasst 42 noch erhaltene Friedhöfe auf deutschem und sieben auf niederländischem Gebiet mit zusammen über 3600 Grabsteinen. Die Inschriften dieser Grabsteine wurden mit der epigraphischen Datenbank „epidat“ erfasst. Im folgenden erläutert die Verfasserin die Arbeit mit diesem Datenbankprogramm und das konkrete Vorgehen zur Erfassung der Grabsteine. Auch verweist sie auf bereits existierende Forschungsarbeiten zum Thema Jüdische Friedhöfe dieser Region. Ergänzend zu Nathanja Hüttenmeisters Angaben möchte ich noch auf Pracht, Elfi, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Teil II: Regierungsbezirk Düsseldorf. Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland. 34.2, Köln 2000 verweisen, worin gerade auch die jüdischen Friedhöfe minutiös erfasst sind.

Die Datenbank wird offenbar rege im Internet aufgerufen – vor allen Dingen auch aus den USA und Israel –, wie die Analyse der Zugriffszahlen verdeutlicht. Diese Rückmeldungen ermöglichen teilweise wiederum die Zuordnung anonymer Gräber zu bestimmten Personen und die Rekonstruktion teilweiser zerstörter Grabsteine.

Die Analyse der Grabsteine gibt interessante Aufschlüsse über die jüdischen Gemeinden.

Die insgesamt 49 bearbeiteten Friedhöfe sind sehr heterogen, reichen von sehr kleinen Friedhöfen mit heute nur noch einem Gedenkstein bis zu großen städtischen Friedhöfen mit über 800 Grabsteinen (Krefeld). Die ältesten Grabsteine stammen vom Ende des 18. Jahrhunderts, die jüngsten entstammen der Gegenwart, weil manche Friedhöfe heute noch belegt werden.

Die Inschriften weisen auf deutscher und niederländischer Seite bis ins 19. Jahrhundert keine Unterschiede auf und sind durchgängig hebräisch  verfasst, erst danach beginnt man, die Grabsteine zweisprachig (hebräisch-deutsch bzw. hebräisch-niederländisch) zu beschriften. Vereinzelt finden sich auf niederländischer Seite auch deutsche Inschriften, was auf die deutsche Herkunft der Verstorbenen hinweist. Migration und grenzüberschreitende Eheschließungen haben so ihren Niederschlag gefunden. Nach 1933 haben die niederländischen Gemeinden auch viele jüdische Auswanderer aus Deutschland aufgenommen, die so versuchten, der nationalsozialistischen Repression und Verfolgung zu entgehen.

Offenbar gab es Unterschiede in den Inschriften bei Frauengräbern. Während auf deutscher Seite häufig Vor- und Nachname verheirateter Frauen gar nicht genannt werden (z. B. Frau Daniel Kaufmann), werden in den niederländischen Friedhöfen Vor- und Nachname der Frau immer ausdrücklich erwähnt.

Sehr viel häufiger wird auf niederländischen Grabsteinen der deutsche Geburtsort eines Bestattenen genannt als umgekehrt der niederländische Geburtsort auf einem deutschen Grabstein.

Auch die Grabsteine selbst sind aussagefähige Quellen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden sie häufig von dem Steinmetz mit einer Signatur gekennzeichnet. Die meisten jüdischen Grabsteine stammen von christlichen Herstellern, lediglich in Krefeld etablierte sich Ende des 19. Jahrhunderts ein jüdischer Steinmetz. Er wurde offenbar aus der gesamten Region konsultiert, denn auf 24 der dokumentierten Friedhöfe stehen Grabsteine aus seiner Werkstatt.

Dieser kleine Überblick zeigt die vielfältigen Aussagemöglichkeiten, die die Erforschung der Friedhöfe, der Grabsteine und ihrer Inschriften dem Historiker an die Hand gibt. Wie ein Blick auf die epidat-Seite im Internet zeigt, beschränkt sich die Arbeit längst nicht nur auf die Euregio-Friedhöfe. Mit Stand vom 7.10.2010 sind dort 105 Inschriftenkorpora mit 21531 Grabinschriften online zugänglich, darunter die 49 Korpora des hier vorgestellten Projektes.

An diesen beiden Beispielen wird deutlich, dass sich die Zeitschrift „Rhein-Maas“ nicht nur an Fachhistoriker wendet, sondern an alle historisch Interessierten dieser Region, die ihre Projekte einer breiteren Leserschaft vorstellen können. Nicht zuletzt richtet sich das „Forum“ auch an die Lehrerinnen und Lehrer, „denen didaktische Handreichungen zur Behandlung regionaler Themen im Unterricht gegeben werden sollen“, wie es im Vorwort der Herausgeber auf S. 13 heißt. Man kann nur wünschen, dass diese Zeitschrift diesen Leserkreis auch erreicht, dann wird es zweifelsohne diesem Anspruch auch gerecht werden können.

Als letzte Folge dieser ausführlichen Vorstellung der neuen Zeitschrift „Rhein-Maas. Studien zur Geschichte, Sprache und Kultur“ sollen im November noch zwei Beiträge aus der Rubrik „Aufsätze“ vorgestellt werden.

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