„Schatzhäuser. Antiken aus Xantener Privatbesitz und europäischen Museen“ – Der Katalog
Schalles, Hans-Joachim; Schmitz, Dirk (Hrsg.), Schatzhäuser. Antiken aus Xantener Privatbesitz und europäischen Museen. Darmstadt 2010.
Zur Ausstellung „Schatzhäuser“, die am 19. September im Xantener Römermuseum eröffnet worden ist (hier mein Bericht) und bis zum 9. Januar 2011 zu sehen sein wird, ist ein Katalog erschienen, der das Thema der Ausstellung aufgreift und nicht nur einzelne Exponate näher vorstellt, sondern die Frage nach privater Sammlertätigkeit in Xanten von vielen Seiten beleuchtet.
In knapp 50 kurzen Beiträgen werden einzelne Sammler Xantener Altertümer vorgestellt, verschiedene Fundkategorien dargestellt und einzelne beispielhafte Sammlungsobjekte präsentiert.
An erster Stelle der Xantener Sammler steht, man möchte fast sagen erwartungsgemäß, Philipp Houben, der wohl bedeutendste Privatsammler der Xantener Altertumsforschung. Martin Müller stellt diesen außerordentlichen Altertumsfreund vor (S. 14–18). Der Notar hatte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts systematisch römische Gräber in Xanten geöffnet, um seine Sammlung mit den Grabbeigaben zu bestücken. In einem Zeitraum von rund 25 Jahren hat er so ca. 1500 Gräber ausgehoben. Durch Ankäufe und weitere Funde vergrößerte sich seine Sammlung schließlich auf ca. 4500 Objekte, die er in seinem Xantener Wohnhaus in zentraler Lage allen Interessierten zugänglich machte. Etwa 300 Besucher pro Jahr, in 36 Jahren also rund 11000 Menschen, sollen diese Sammlung besichtigt haben.
Nach seinem Tod 1855 verblieb die Sammlung zunächst in seinem Haus. 1859 wurden allerdings durch einen Einbruch viele Exponate entwendet. Der Versuch der Erben, die verbliebenen Teile der Sammlung geschlossen zu verkaufen, schlug fehl, so dass die Sammlungsstücke schließlich 1860 einzeln über ein Kölner Auktionshaus veräußert und in die verschiedensten Länder verstreut wurden. Einige Objekte dieser bedeutenden Sammlung werden in der Ausstellung in Xanten gezeigt und kehren damit erstmals wieder an ihren Ursprungsort zurück.
Weitere Privatsammler und ~sammlungen, die im Katalog vorgestellt werden, sind u. a. die Sammlung Bergerfurth. Hans-Joachim Schalles stellt die Familie, die seit 1774 im Besitz eines Anwesens südlich von Xanten war und von der Landwirtschaft und einer Schankwirtschaft lebte, vor (S. 66–71). Sie sammelte systematisch römische Funde vom Fürstenberg, auf dem einst das römische Legionslager Vetera I gelegen war, und stellten ihre Funde in ihrer Gaststätte aus. 1965 wurden bei einem Einbruch große Teile dieser Sammlung gestohlen, während die kleinteiligen Objekte, die nicht in der Gaststätte ausgestellt waren, darunter etwa 80 Gemmen, glücklicherweise erhalten blieben.
Ebenfalls von Dirk Schmitz stammen die Beiträge über Hans Neske (S. 100–101), Paul Kempkes sen. (S. 124–125) und Hermann Schmitz (S. 138–141). Hans-Joachim Schalles stellt schließlich noch den Tierarzt und Heimatforscher Dr. Gerhard Buckstegen vor (S. 146 –147).
Verschiedene Beiträge widmen sich unterschiedlichen Fundgattungen, die sich in den Privatsammlungen finden. So behandelt Bernd Liesen die „Keramik in der Archäologie“ und Dirk Schmitz beschäftigt sich mit der Herstellung von Baukeramik im römischen Heer. Patrick Jung thematisiert ein „Zerbrechliches Gut“, nämlich römische Gläser in den Xantener Privatsammlungen. In ähnlicher Weise werden u. a. Fibeln, Öllampen, Gemmen oder Möbelbeschläge vorgestellt. Der Katalog bleibt dann auch nicht bei den römischen Objekten stehen, sondern geht in gesonderten Beiträgen auf (früh)mittelalterliche und frühneuzeitliche Funde (Marion Brüggler, Claudia Klages) ein.
Wie gesagt, werden all diese Fundgattungen durch einzelne Beispielobjekte ergänzt, die in der Ausstellung zu sehen sind und wegen ihrer Fülle hier nicht gesondert aufgezählt werden können.
Hervorheben möchte ich allerdings noch den Aufsatz der Volkskundlerin Gabriele Dafft, der unter der Überschrift „Reine Männersache“ die „Privatsammlungen aus der Gender-Perspektive“ behandelt (S. 62–64). Hier wird eine ganz andere und für die Beschäftigung mit der Geschichte der archäologischen Denkmalpflege durchaus neue Seite aufgeschlagen, wurden Fragen nach geschlechtsspezifischen Aspekten archäolgischen Sammlertums bisher noch nicht gestellt. Frauen bilden in der Entstehung und Geschichte der heimischen Archäologie eine sehr kleine Gruppe (besonders zu nennen wären hier Johanna Mestorf, Direktorin des Museums vaterländischer Altertümer bei der Universität Kiel und erste Universitätsprofessorin Deutschland [gest. 1909], in Trier Elvira Fölzer, die dort von 1907 bis 1916 tätig war, oder in Bonn Wilhelmine Hagen, die 1943 als erster Frau an der Universität Bonn die Venia Legendi verliehen bekam und seit 1937 im Rheinischen Landesmuseum tätig war).
Unter den freiwilligen Helfern der „Berufsarchäologen“ waren dagegen überhaupt keine Frauen (oder wenn sehr wenige) vertreten. So konnte Karl Ditt z. B. zeigen, dass 1925 unter 135 Pflegern für Bodenaltertümer im Regierungsbezirk Münster sich keine einzige Frau befand. Diese Beobachtung bestätigt sich auch vor dem Hintergrund dieser Ausstellung, wie dieser Beitrag betont: „Die Objekte in der Sonderausstellung gehen in der Regel auf die Sammeltätigkeit von Männern zurück. … Es gibt praktisch keine weiblichen Laiensammler von römischen Antiken. Frauen, so heißt es, sammeln eher andere Dinge und verfolgen andere Sammelstrategien als Männer.“ In ihrem Beitrag stellt Gabriele Dafft die Frage nach dem Sammeln selbst, jenseits wissenschaftlicher Fundkriterien. Sie stellt fest, dass die Ehefrauen oft sehr genau informiert sind über die Sammelobjekte, ihre Herkunft, ihren Verbleib im Familienbesitz usw. Für die Präsentation der Sammelobjekte in den Wohnhäusern sind sehr oft die Frauen zuständig, während die Beschaffung, z. B. der Ankauf oder Tausch von Fundsachen mit Bau- und Straßenarbeitern, in der Regel Männersache war. Ihr „Überblick zeigt, inwieweit sich bei der Suche nach weiblichen und männlichen Handlungsspielräumen vielfältige Aspekte des Themas Privatsammlungen erschließen. So wird deutlich, dass der erste Eindruck vom rein männlichen Phänomen ein unvollständiger ist.“ (S. 64)
Es ist das Verdienst von Gabriele Dafft darauf hinzuweisen, dass die tatsächliche Bedeutung der Frauen in der Geschichte der archäologischen Sammlung und Forschung eine weit größere war, als der Quellenbefund vermuten lässt. Die Tatsache, dass Frauen als archäologisch Interessierte dort nicht auftauchen, mag neben den von Gabriele Dafft genannten Gründen nicht zuletzt daran liegen, dass sie im Umgang mit den Behörden und Wissenschaftlern ihren Ehemännern den Vortritt ließen.
Insgesamt ein sehr lesenswerter Katalog, der durch seinen besonders günstigen Preis im Römermuseum Xanten einen Besuch der Ausstellung deutlich abrundet.
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