Rezension zu Volker Ullrich, Adolf Hitler – Die Jahre des Untergangs
Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um den zweiten Teil einer umfassenden Hitlerbiografie. Der erste Teil, der 2013 erschienen ist, behandelte „Die Jahre des Aufstiegs“ (so der Titel), also die ersten 50 Jahre des Lebens Adolf Hitlers. Der runde Geburtstag des „Führers“, der am 20. April 1939 mit großem Aufwand gefeiert wurde, bildete den Endpunkt des ersten Bandes.
Der nun vorliegende zweite Teil ist ganz dem Zweiten Weltkrieg gewidmet. Den ersten 50 Jahren stehen die letzten sechs Jahre aus Hitlers Leben gegenüber. Rund 840 Textseiten gegenüber rund 700. Der erste Befund ist ein offensichtliches Ungleichgewicht, das es zu erklären gilt.
Ullrich begründet diese Entscheidung mit der Feststellung, dass sich im Weltkrieg „wie in einem Brennspiegel die kriminelle Dynamik des NS-Regimes und des Mannes an der Spitze“ sich verdichtet habe (S. 7). Erst der Krieg habe es ihm und seinen Helfern erlaubt, ihre eigentlichen ideologischen Ziele, die Eroberung von „Lebensraum im Osten“ und die Vernichtung der deutschen und europäischen Juden, zu realisieren. Im Krieg habe sich Hitler fast ausschließlich dem militärischen Geschehen gewidmet.
Für ein zweibändiges Werk ist diese Einteilung sinnvoll, sachlich besser wäre es wohl, eine Dreigliederung vorzunehmen: Hitler vor 1933, die erste Hälfte von Hitlers Herrschaft 1933–1939 und die zweite Hälfte von Hitlers Herrschaft 1939–1945.
Die von Ullrich gewählte Zweigliederung hat zur Folge, dass der Kriegsgeschichte einen großen Raum in dem Gesamtwerk eingeräumt wird. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil die Repräsentanten der Wehrmacht nach dem zweiten Weltkrieg erfolgreich alle Verantwortung auf Hitler abwälzen konnten und ein Bild der „sauberen“ Wehrmacht malten, dass bis in die 1990er Jahre hinein Bestand hatte. Erst die Hamburger Wehrmachtsausstellungen 1995 und 2001 haben dieses Bild korrigiert. Mit der Frage nach dem Verhältnis Hitlers zur Wehrmacht, der Aufteilung der Verantwortung für den Krieg und die während des Krieges begangenen Verbrechen grenzt das Buch zugleich von den anderen Hitlerbiografien ab.
Der zweite Schwerpunkt des Buches ist das Menschheitsverbrechen der so genannten Endlösung der Judenfrage. Die in den letzten Jahrzehnten fortgeschrittene Forschung habe gezeigt, dass dies als „komplexes Wechselspiel zwischen der Zentrale in Berlin und den an der Peripherie des deutschen Herrschaftsbereichs operierenden Einheiten von SS, Polizei und Wehrmacht“ (S. 10) vonstattenging. Ullrich will nun seinerseits „den spezifischen Anteil Hitlers an der ‚Endlösung‘ möglichst genau … bestimmen“ und zeigen, „wann, wie und mit welchen Resultaten er [Hitler] jeweils in den Prozess der Vernichtung eingegriffen und ihn vorangetrieben hat.“ (S. 10)
Eine dritte Fragestellung richtet den Blick schließlich auf die Reaktion der deutschen Bevölkerung auf das Kriegsgeschehen und „welche Auswirkungen das auf die Akzeptanz des Regimes und die Popularität seine ‚Führers‘ hatte.“ (S. 11)
In Entsprechung zu diesen thematischen Schwerpunkten seiner Arbeit bezieht sich Ullrich auf verschiedene Quellenwerke, die seiner Untersuchung zu Grunde liegen. Diese und ebenso die wichtigsten bisher erschienenen Hiter-Biografien würdigt er knapp in der Einleitung und bietet so dem Leser zugleich die Möglichkeit, selbständig auf wichtige Literatur zum Vergleich und zur Vertiefung zurück zu greifen (wenngleich eine etwas ausführlichere Behandlung der Forschungsgeschichte wünschenswert gewesen wäre).
Das Buch ist wie der erste Band chronologisch aufgebaut, beschreibt in 18 Kapiteln das Leben Hitlers und den Verlauf des Krieges. Der Blick auf das Kriegsgeschehen wird vor allem in den Kapitel „Der Weg in den Holocaust“ und „Der 20. Juli 1944 und seine Folgen“ erweitert.
Im Schlusskapitel resümiert Ullrich das Leben Hitlers in Gänze und fasst so die Ergebnisse beider Bände zusammen. Er begründet nochmals seinen biografischen Ansatz, wenn er auf die Frage, wie es möglich war, „dass ein Politiker vom Schlage Hitlers die Macht in Deutschland erobern, seine uneingeschränkte Diktatur errichten und die Welt in eine beispiellose zivilisatorische Katastrophe stürzen konnte?“ entgegnet: „Die Antwort wird immer wieder bei der Person Adolf Hitlers ansetzen müssen. Denn das, was damals geschah, ist ohne ihn nicht zu denken.“ (S. 668)
Dabei geht Ullrich einen Mittelweg und ordnet die Gestalt Hitlers ein in eine Gesamtschau (nicht nur) deutscher Geschichte. Schließlich bilanziert er: „Hitlers Herrschaft stand in der Kontinuität der deutschen Geschichte, und sie bedeutete zugleich eine fundamentale Zäsur.“ (S. 683)
Am Ende stellt Ullrich die Frage nach Hitlers Größe und geht mit Ian Kershaw überein, dass man diese Frage gar nicht stellen könne, denn es ginge immer eine gewisse Bewunderung für Hitler damit einher.
Eine Schlussbemerkung des Verfassers widmet sich dem zur Zeit ja immer wieder diskutierten Vergleich des Endes der Weimarer Republik und den derzeitigen politischen Verhältnissen. Und man kann ihm nur zustimmen, wenn Ullrich resümiert: „Der ‚Fall Hitler‘ bleibt für alle Zeiten ein warnendes Exempel. Wenn er etwas lehrt, dann dies: Wie rasch eine Demokratie aus den Angeln gehoben werden kann, wenn die politischen Institutionen versagen und die zivilgesellschaftlichen Kräfte zu schwach sind, um der autoritären Versuchung zu begegnen.“ (S. 694.)
Ullrich hat sich insgesamt acht Jahre mit der Ausarbeitung des Werks befasst. Und es ist zweifellos ein – nicht nur gemessen an Seitenzahlen – großes geworden. In gut lesbarer Form wird das Leben Adolf Hitlers bis in Kleinigkeiten hinein geschildert. Bei aller Detailverliebtheit (so werden kriegsstrategische Fragen immer wieder ausführlich geschildert) verliert Ullrich aber die Leitfragen nie aus dem Auge. Die Vielzahl an Zitaten wirken nicht überfrachtet, sondern dienen der Lesbarkeit, lassen die Ereignisse lebendig wirken. Dabei ergeht er sich nicht in einfaches Nacherzählen, sondern ordnet die Zeitzeugenaussagen zu seinen Thesen und fügt so aus den unzähligen Puzzleteilen der verarbeiteten Quellen und Literatur ein konzises Bild zusammen.
Ergänzt wird die Darstellung von sieben SW-Karten am Ende des Buches sowie von einem Quellen- und Literaturverzeichnis, einem Abbildungsnachweis und einem Personenregister.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass Ullrichs zweibändige Hitlerbiografie ein Werk ist, dass nicht nur die Person Adolf Hitler fixiert, sondern darüber hinaus auch einen tiefen Blick in die deutsche Geschichte wirft und unbedingt als Gesamtheit gelesen werden sollte, denn der „Kriegs-Hitler“ ist nicht zu verstehen ohne den „Vorkriegs-Hitler“.
Ullrich zitiert in seiner Einleitung einen Satz aus dem Tagebuch von Friedrich Kellner aus dem Dezember 1942: „Wenn man sich auch dagegen sträubt, immer wieder muß man sich mit Adolf Hitler beschäftigen.“ (S. 13) Diesen Gedankengang greift Ullrich in seinem letzten Absatz wieder auf, indem er den Schriftsteller Reinhold Schneider aus dem Jahr 1946 anführt: „Unsere Auseinandersetung mit Adolf Hitler ist noch nicht zu Ende und kann nicht zu Ende sein; in gewisser Weise sind wir vor der Ewigkeit mit ihm verbunden.“ (S. 694)
Diese beiden Feststellungen gelten bis heute. Mit Hitler ist man nie zu Ende. Daher wird es sicherlich nicht die letzte Hitlerbiografie gewesen sein.
Volker Ullrich, Adolf Hitler. Biographie. Die Jahre des Untergangs 1939-1945, Frankfurt a. M. (S. Fischer-Verlag) 2018, 896 Seiten, 7 Karten.
Hardcover ISBN 978-3103972801, 32 Euro
Ebook 27,99 Euro.
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