Silvester – Neujahr – Jahreswechsel

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Eine Woche nach Heiligabend folgt der letzte Tag des Jahres, der nach seinem Tagesheiligen einfach Silvester genannt wird. Dass der Jahreswechsel zwischen dem 31. Dezember und 1. Januar erfolgt, ist dabei alles andere als selbstverständlich, ja nicht einmal besonders logisch. Denn wir zählen die Jahre bekanntlich (wenn auch etwas unpräzise) „vor Christi Geburt“ und „nach Christi Geburt“. Dieser Geburtstag wird aber nunmal am 25. Dezember gefeiert, so dass es eigentlich zu erwarten wäre, dass dieses Datum zugleich der Neujahrstag sein sollte. Aber nicht einmal im Kirchenjahr ist der 25. Dezember der Neujahrstag, das ist vielmehr der 1. Advent; und dieses Datum ist bekanntlich nicht einmal fix, so dass die Kirchenjahre unterschiedlich lang sind. Was uns im Alltag also eine Selbstverständlichkeit ist, stellt sich bei näherer Betrachtung als durchaus nicht einfach dar. Und zumindest jeder Mediävist steht, sobald er sich mit der Datierung von mittelalterlichen Urkunden oder anderen Quellen befassen muss, vor dem Problem der Zeitrechnung.

Erich Mühsam, Kain-Kalender für das Jahr 1912 (Lizenz: frei)

Erich Mühsam, Kain-Kalender für das Jahr 1912 (Lizenz: frei)

Die Menschen haben seit jeher versucht, den Lauf der Zeit zu gliedern, um so leichter und genauer sich an wichtige Ereignisse zu erinnern (z. B. die Inthronisation eines Herrschers) oder Verwaltungsvorgänge zu ermöglichen (z. B. Steuerzahlungen an regelmäßig wiederkehrenden Terminen oder Fälligkeiten von Vertragsleistungen). Daher gehen in vielen Kulturen die ersten Jahreszählungen mit den Regierungsjahren der Herrscher einher. So heißt es oft in den Quellen: „Im soundsovielsten Jahr der Herrschaft von König soundso …“. Einerseits rückte dies den jeweiligen Herrscher in den Mittelpunkt der Zeitrechnung und drückte so seine herausragende gesellschaftliche Stellung in eindrücklicher Weise aus, andererseits war diese Zählweise recht unpraktisch, vor allem wenn sich die Herrscherwechsel häuften. Die Römer hatten eine andere Zählweise eingeführt, die von einzelnen Herrschern unabhänig war. Sie zählten die Jahre vom Zeitpunkt der Gründung der Stadt Rom an, „ab urbe condita“. Dieses Datum ist zwar legendär, gleichwohl fix datiert, nach unserer Zählweise das Jahr 752 v. Chr. Diese römische Zählweise hielt über das Ende des römischen Reiches hinaus sich bis weit ins Mittelalter und taucht in den Quellen meist zusätzlich zu anderen Jahreszählungen auf.

Eine weitere wichtige Jahreszählung im römischen Reich war die nach den Regierungszeiten der Consuln, die Konsulatsjahre. Während diese Zählung den Untergang des römischen Reiches nicht lange überdauerte, wurde die Zählung der (römischen) Kaiserjahre im Mittelalter nach der Krönung Karls des Großen weitergeführt. Hinzu kam die Zählung der jeweiligen Papstjahre.

Eine andere, in der Antike übliche Zählweise war die Olympiade. Wir verwenden diesen Begriff heute meist für die vierzehntätigen Sportwettkämpfe, die alle vier Jahre stattfinden. Eigentlich meint „Olympiade“ aber den Vierjahreszeitraum zwischen diesen Sportwettkämpfen. Ausgangspunkt dieses Zyklus war die Sommersonnenwende des Jahres 776 v. Chr. Folglich befinden wir uns – wenn ich mich nicht verrechnet habe – gerade im 3. Jahr der 696 Olympiade. Auch diese Zählung wurde im Mittelalter, wenn auch selten, verwendet.

Eine mittelalterliche Urkundendatierung kann dann z. B. so aussehen:

„Gegeben an den 2. Iden des Oktobers im Jahre des Versöhners Christus, im 16. Jahre des Kaiserreichs des Herrn Ludwig, … , im 8. Jahre der Herrschaft Lothars, in der 8. Indiktion…“

Ich habe dieses Beispiel einer Urkunde Ludwigs des Frommen auf dem Blog tribur.de gefunden, wo die kryptische Datierung auch aufgelöst wird (zumindest soweit dies möglich ist). Zugleich wird deutlich, wie kompliziert und teilweise auch widersprüchlich solche Datierungen sein können. Da es sich um die erste Erwähnung Treburs (bei Groß-Gerau/Hessen) handelt, ist die Datierung für die Ortsgeschichte natürlich von großer Bedeutung.

Man sieht, die Zeitrechnung ist für einen Mediavisten nicht nur ein notwendiges Übel, womit man sich befassen muss, wenn man ein historisches Dokument korrekt erfassen will, sondern eine eigene Hilfswissenschaft.

Es gab noch viele weitere Jahreszählungen, die im Einzelfall berücksichtigt werden müssen, hier aber nichts zur Sache tun. Und dass das Phänomen unterschiedlicher Jahreszählungen nicht nur ein mittelalterliches ist, zeigt der Revolutionskalender. Dieser wurde während der Französischen Revolution eingeführt, als rationales Gegenstück zum bestehenden Kalender. In diesem Kalender hatte das Jahr 12 Monate zu 30 Tagen. Statt der siebentägigen Wochen bestand jeder Monat aus 3 Dekaden (10 Tagen). Dazu kamen fünf (in Schaltjahren sechs) Ergänzungstage. Die Dekadentage wurden römisch („Primidi“, „Duodi“ usw.) gezählt, die Monate erhielten neue Namen. Auch die Zeiteinteilung der Tage wurde „revolutioniert“. Der Tag bestand in diesem Kalender aus 10 Stunden zu je 100 Minuten, die Minuten aus 100 Sekunden. Dieser Kalender galt vom 22. September 1792 bis zum 31. Dezember 1805, ab dem 1. Januar 1806 wurde der gregorianische Kalender wieder eingeführt. Nun könnte man sagen, das ist halt eine Fußnote der französischen Geschichte, aber in diese Zeitspanne fiel auch die Errichtung des Rhein-Mosel-Départements (1798) in den deutschen Territorien westlich des Rheins, so dass dieser Kalender auch einige Jahre in Deutschland galt.

Wer sich näher mit diesen Fragen befassen möchte, der sei auf den Klassiker von Hermann Grotefend: Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit (Hannover 14. Aufl. 2007) verwiesen. Im Internet kann die große Ausgabe des „Grotefend“ abgerufen werden: Zeitrechnung des Deutschen Mittelalters und der Neuzeit. HTML-Version von Dr. H. Ruth.

Doch nun zurück zum Jahreswechsel zwischen dem 31. Dezember und dem 1. Januar. Wie gesehen, gab es in der Vergangenheit eine Vielzahl von Jahreszählungen und auch eine Vielzahl von Jahresanfängen. Für das Mittelalter sind sechs verschiedene Jahresanfänge durchaus üblich, die je nach Region und Zeit für den Historiker zu berücksichtigen sind. Neben unserem 1. Januar sind dies der 1. März, der 25. März, Ostern, der 1. September und schließlich der 25. Dezember, also Weihnachten. Hinzu kam oft auch der 6. Januar, Epiphanias, als Neujahrstag.

Der 1. Januar als Jahresanfang hat seinen Ursprung im antiken Rom. Im Jahre 153 v. Chr. wurden die erwähnten Konsulatsjahre eingefügt. Da die Amtszeit der Konsuln immer am 1. Januar begannen, wurde auch die Jahreszählung mit diesem Datum begonnen. Vorher war der 1. März als Jahresbeginn üblich, was noch in unseren Monatsnamen „September“, „Oktober“, „November“ und „Dezember“ erhalten geblieben ist, denn sie bedeuten ja „siebter Monat“, „achter Monat“, „neunter Monat“ und „zehnter Monat“, was sich auf einen Jahresbeginn am 1. März bezieht. Gleichwohl setzte sich dieser Jahresbeginn nur sehr langsam gegen seine „Konkurrenten“ durch. In Westeuropa wird er ab dem 13. Jahrhundert häufiger. Im 16. Jahrhundert setzte dieses Datum sich dann immer mehr durch und wurde schließlich mit der gregorianischen Kalenderreform (benannt nach Papst Gregor XIII.) von 1582 quasi amtlich als Neujahrstag eingeführt. Dabei dauerte es immer noch recht lange, bis sich der 1. Januar überall durchgesetzt hatte bzw. durchgesetzt wurde. So wurde der 1. Januar in Schottland erst 1600, in der Toskana 1721 und in England und seinen Kolonien 1752 zum Neujahrstag erkoren (Quelle).

Aus dieser lange existierenden „Unschärfe“ der Jahresanfänge resultiert auch der noch heute gängige Ausdruck „zwischen den Jahren“ für die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Hier spiegelt sich noch die Erinnerung, dass je nach Territorium das Jahr schon am 25. Dezember, andernorts am 1. Januar oder gar erst am 6. Januar begann. Die Tage dazwischen liegen eben „zwischen den Jahren“.

Bleibt noch die Frage, wieso heißt der letzte Tag des Jahres „Silvester“? Ganz einfach: Der 31. Dezember ist der Todestag des Papstes Silvester I., der von der katholischen Kirche als Heiliger verehrt wird. Sein Todestag ist wie bei den meisten Heiligen zugleich sein liturgischer Gedächtnistag. Der Vortag des 1. Januar ist daher diesem Papst Silvester gewidmet und wird umgangssprachlich nach ihm benannt.

Papst Silvester I. (Lizenz: frei)

Papst Silvester I. (Lizenz: frei)

Man könnte jetzt noch viel zum ganzen Silvester- und Neujahrsbrauchtum schreiben, aber der Artikel ist sicher schon lang genug. Außerdem will ich ja auch nächstes Jahr noch was zu Silvester sagen können. 😉

Lange Rede, kurzer Sinn. Der 1. Januar ist als Neujahrstag schon sehr alt, stand aber lange Zeit in Konkurrenz zu anderen Neujahrstagen. Erst im Laufe des Mittelalters hat er sich durchgesetzt und wurde mit der Einführung des gregorianischen Kalenders zum unumstrittenen Neujahrstag der (westlichen) Welt.

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